Finaleminimale


Finaleminimale
14.12.2019 – 25.01.2020
 
Damals noch im Seitenflügel des Alpineum Dioramas beim Löwendenkmal eröffnete am 1. November 2007 die Alpineum Produzentengalerie, ihre erste Ausstellung. Mit dem Titel „Himmel über Luzern“ wurde der Anspruch kundgetan und der Wegweiser in die Zukunft war aufgestellt.
Dazu legten alle neun Gründungsmitglieder ihre Karten offen auf den Tisch, sprich, sie zeigten jeweils ein aktuelles Kunstwerk, jede_r in seiner Technik und Manier, und gaben damit zu erahnen, was zukünftig an diesem Ort zu sehen sein würde.

Selbstverständlich war dies eine beispiellose, unverschämte Behauptung: in Tat und Wahrheit wusste niemand der Beteiligten, wie es konkret weiter gehen sollte, oder gar: wie lange. Immerhin war der Versuch auf mindestens drei Monate, ein halbes oder ein ganzes Jahr angelegt, mal schauen. Tatsächlich existierte am Tag der Eröffnung genau bis zur zweiten Schau ein konkreter Plan, nämlich des Produzenten Jeroen Geels Gemäldeausstellung mit dem Titel „Kartoffeln und Wolken“ – ein Titel wie ein weiterer Wink mit dem Zaunpfahl an externe Beobachter_innen um anzuzeigen, wie vermessen das Projekt Alpineum Produzentengalerie überhaupt ist: Ein Haufen Künstler*innen rottet sich zusammen, um ihrem Berufsstand selbst eine freischwebende Plattform zu gebenohne Zwischenhandel und Mittelsleute.
Schon die dritte Ausstellung „Begegnungen“, während dem März 2008 von Ina Ettlinger war der erste Schritt über den Abgrund hinaus: eine Einzelausstellung mit einer externen, mit neuvernähten Textilien skulptural schaffenden Münchnerin.
Damit war innerhalb eines Dritteljahres die Botschaft verkündet: Das wird keine Nabelschau, keine Selbsthilfegruppe vermeintlich Vernachlässigter: diese Kunstinitiative wird thematische Ausstellungen produzieren, tiefe Einblicke in das Schaffen Einzelner vermitteln, und mit etwa einem Drittel der Ausstellungen über den Tellerrand hinaus schauen – und damit den Kunstdiskurs in Luzern, der Zentralschweiz, um Facetten bereichern.

Voller Selbstvertrauen in die Tatkraft der Gruppe, gepfeffert mit einer Prise Naivität und ordentlich gesalzen mit kaltschultriger Ignoranz gegenüber sich bereits abzeichnenden Hürden, wurde dieses Projekt angegangen, den eigenen hohen Anspruch mit allen vorstellbaren Mitteln (vorstellbar, weil reelles Geld haben Künstler_innen kaum, gute Einfälle dafür um so mehr) umzusetzen. Die anfängliche Vorstellung war, dieses Projekt wirtschaftlich als Hobbyraum zu betreiben und dabei gleichzeitig auf maximale Öffentlichkeitswirksamkeit zu schielen – eine wunderschöne Idee – in einem Märchenland. Wobei, insbesondere im Märchenland erscheint ein Wolf, wenn Rotkäppchen laut pfeifend mit einem Korb voller schöner Dinge durch den Wald hüpft. Im Alpineum Märchen kam dieser in Form der Ausgleichskasse, der Geschäftshaftpflichtversicherung, der Kunstversicherung und anderer Meuten. Innert kurzer Zeit musste die Galerie professionalisiert werden: die Kosten und die Aufwände stiegen, ohne dass sich vordergründig etwas am Produkt veränderte.
In den ersten Jahren trafen sich sämtliche Produzent*innen Samstag für Samstag, um Prozesse zu optimieren, Kosten zu sparen, eine gemeinsame Position zu finden, ja: Zukunftspläne im heissen Feuer der reellen Marktwirtschaft zu schmieden.

Aus einer fidelen Gruppe unerfahrener Idealisten wurde so ein ernsthafter, zielgerichteter, international tätiger Rennstall, die Scuderia Alpineum – in welcher es auch weiterhin fidel zuging – einfach speditiver, dank Druckluft.
Jährlich wurden ab dann um die zehn Ausstellungen realisiert, in den eigenen Räumen, in Ausstauschausstellungen in Galerien in Baden, Bremen, Karlsruhe, Treignac, Stockholm, Zürich und Räumlichkeiten, St. Gallen und Bern, sowie in Luzerns Architekturbüros und auf internationalen Messen in Berlin, Helsinki, Karlsruhe, Köln, Stockholm, Athen um insgesamt nur ein paar Orte zu nennen.
Um diesen Spitzensport zu betreiben, wurde in der Scuderia Spitzenleistung erbracht, wozu ein Spitzenumfeld nötig war: Spitzenförderung (vielen Dank an dieser Stelle an die vielköpfige Käuferschaft, wie auch allen Sponsoren und Förderstellen über all die Jahre, ohne Euch würden wir heute nicht hier stehen!) Spitzenräumlichkeiten im Herzen der Stadt, überhaupt alle spitze Spitzen im Ausstellungs- wie Begleitprogramm.
Und es entstanden Spitzenresultate rund herum: zusammen mit dem o.T. – Raum für aktuelle Kunst und dem sic! Raum für Kunst, wurde das Kunsthoch Luzern gegründet. Heute ein Kunstevent von nationaler Ausstrahlung. In den ursprünglichen Räumen der Galerie an der Denkmalstrasse wurde danach eins der wichtigsten Cafés in Luzern eröffnet – eine Möglichkeit, welche nie entstanden wäre, hätte die frühe Scuderia diesen Raum nicht erst für ihre Stallung frei geräumt und dann für die Gesellschaft eingewärmt.
Die Rennstallmitglieder sind heute in wesentlichen Ämtern, in Kommissionen und Kunstausschüssen, von internationalen Galerien vertreten und regelmässig an Ausstellungen im ganzen Land zu sehen. Die ehemaligen Praktikantinnen befinden sich in Toppositionen im schweizerischen Kunstgeschehen: Céline Gaillard ist CoDirektorin des Kunstzeughaus Rapperswil, Laura Breitschmid ist vom Team sic! bis zum Kunstmuseum Luzern an allen Ecken in der Luzerner Kunstszene zu entdecken und Sarah Mühlebach künstlerische Leiterin des PTTH://Pavillon Tribschenhorn.
Aber auch Liebesbeziehungen entstanden, wurden gefestigt und einige Kinder wurden geboren. Kurzum: da geschah mehr als ‚nur’ Kunst: das war im wahrsten Sinne ein ganzheitliches Unterfangen.

Das Bild der Scuderia Alpineum ist folglich nicht ganz stimmig:
Wie gezeigt, fiel einiges ab, keine abgebrochenen Reifen in den Kurven, sondern lauter Dinge voller Glanz, Pracht und Freude:
Die Alpineum Produzentengalerie war – um nochmals auf den ersten Ausstellungstitel „Himmel über Luzern“ zurück zu kommen: – ein Komet! Von welchem in den letzten Jahren, als er über der Stadt schwebte, unzählige Sternschnuppen hinunterschneiten.
 
Wie wir heute sehen, zieht der Komet 2020 ins Unbekannte weiter – wer kann, erhascht sich jetzt noch eine Sternschnuppe: kondensierte, minimalisierte Relikte aus zwölf Jahren Renntätigkeit mit dreihundert Künstler_innenkontakten.
Diese werden zurückbleiben, plus eine Leerstelle am Himmel, die neu zu besetzen ist!




Die Alpineum Produzent_innen sind und waren:

2017 – 2019: Irene Bisang, Samuli Blatter, Jeroen Geel, Christian Herter, Claudia Kübler, Reto Leuthold, Monika Müller, Timo Müller, Thierry Perriard, Luca Schenardi, Diana Seeholzer, Andri Stadler, Sereina Steinemann
 
2013 – 2016: Raphael Egli, Jeroen Geel, Christian Herter, Claudia Kübler, Reto Leuthold, Karin Lustenberger, Monika Müller, Thierry Perriard, Lorenz Schmid, André Schuler, Diana Seeholzer, Andri Stadler

2011 – 2013: Samuli Blatter, Raphael Egli, Jeroen Geel, Ray Hegelbach, Christian Herter, Hubert Hofmann, Monika Kiss Horváth, Monika Müller, René Odermatt, Lorenz Schmid, Andri Stadler

2008 – 2011: Christian Duss, Raphael Egli, Jeroen Geel, Christian Herter, Hubert Hofmann, Monika Kiss Horváth, Daniel Küng, Monika Müller, René Odermatt, Stephan Wittmer

Leitung: Laura Sennhauser: 2016 – 2019 und in Stellvertretung …. ….;  Stefan Meier, 2008 – 2016 und Irene Bisang, interimistisch seit Juni 2019

Praktikantinnen: Laura Breitschmid, Céline Gaillard, Sarah Mühlebach
Text: Stefan Meier